Wellington und die Reise in die Vergangenheit

30. September 2017

Nach unserem Treffen mit Stéphanie und Vik in Palmerston Nord, kommen wir recht spät in Wellington an. Es wird schon dunkel. Wir suchen uns einen kostenfreien Campingplatz direkt am Meer. Das Wetter ist rau. Der Wind pfeift, die Wellen peitschen schäumend gegen die Küste. Unser Camper wiegt sich im stürmischen Wind hin und her. Ungewohnt aber irgendwie hat es auch etwas beruhigendes.

Am nächsten Morgen sehen wir, dass um uns herum kantige Berge sind und darunter ein langer Strand. Das hatten wir die Nacht vorher natürlich nicht gesehen. Ein paar Meter von unserem Platz entfernt ist auch ein kleines Informationszentrum, in dem es Infos zu der Küste gibt. Vielen Schiffen wurde die starke Brandung schon zum Verhängnis und sie sind gekentert oder an vorgelagerten Felsformationen zerschellt. Interessant.

Und da wir Interessantes toll finden, geht es kurz nach dem Frühstück auch auf Richtung „Te Papa Tongarewa“, das größte Museum in Neuseeland. Hier gibt es dauerhafte Ausstellungen, aber auch wechselnde mit besonderen Themen. Wir sind gespannt, was uns an diesem Tag erwartet.

Die Parkplatzsuche gestaltet sich extrem schwierig. Wellington ist, wie so viele Städte in Neuseeland, nicht gerade der geräumigste Ort. Vor allem nicht wenn man mit einem Campervan unterwegs ist. Zudem sind natürlich alle Parkplätze belegt oder unverschämt teuer. Nach ein paar Mal im Kreis fahren und etwas gepflegtem Gefluche, finden wir schließlich einen Parkplatz. Nicht ganz so teuer wie die anderen, aber auch kein Schnapper. Egal. Wenigstens ist das Museum umsonst, was angesichts der dort gebotenen Vielfalt wirklich großzügig ist.

Das „Te Papa Tongarewa“ ist das Nationalmuseum von Neuseeland und daher natürlich in der Hauptstadt Wellington zu finden. Es ist extrem groß und verteilt sich auf vier Stockwerke. Die dauerhaften Ausstellungen zeigen die Maori-Kultur, Tier- und Pflanzenwelt, den Sport in Neuseeland, das alltägliche Leben, die Geschichte und die Entstehung der beiden Inseln.

Außerdem gibt es eine gigantische Sonderausstellung, die direkt unsere Aufmerksamkeit erregt. Sie trägt den Titel „Gallipoli – The scale of our war“. Jetzt wird der fleißige Blog-Leser ja schon mitbekommen haben, dass in Neuseeland sehr viele Kriegsdenkmäler stehen. Ein Dorf kann noch so klein sein, nicht mal einen Tante-Emma-Laden haben, ein Kriegsdenkmal gibt es aber bestimmt. Heute erfahren wir auch warum. Achtung, Faktenmodus wird aktiviert:

Gallipoli ist das Trauma der ANZAC, was für Australien and New Zealand Army Corps steht. Dabei handelt es sich um Streitkräfte des Britischen Empires. ANZAC wurde auf Grund des 1. Weltkriegs gegründet und bestand anfangs aus freiwilligen Australiern und Neuseeländern. Sie sollten die britischen Truppen in ihrem Kampf gegen die Mittelmächte unterstützen. Die Türkei war damals Verbündeter des Deutschen Reichs und daher Kriegsgegner des Britischen Empires. 1915 beschlossen die Alliierten die Meerenge Dardanellen, die vom Osmanischen Reich kontrollierte wurde, anzugreifen und zu erobern, um die Waffenlieferungen der Westalliierten zu gewährleisten bzw. zu sichern. Durch die Blockade dieser Meerenge, waren diese nämlich kaum auszuführen, was für die Westalliierten erhebliche Beeinträchtigungen mit sich brachte.

Am 19. Februar 1915 begann daher die Offensive und damit die „Schlacht um Gallipoli“, an der das Britische Weltreich und Frankreich, sowie das Osamnische Reich, das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn beteiligt waren.

Was folgte war ein grauenhaftes Jahr voller Tod und Leid, welches geprägt war von einem erbitterten Stellungskrieg. Es wurde nicht um Kilometer gekämpft, sonder um wenige Meter. Die Fronten verschoben sich ständig und da die Alliierten die Kampfkraft der Türken unterschätzt hatten, stoßen sie auf hartnäckigen Wiederstand. Hinzu kam die Unerfahrenheit vieler ANZAC Soldaten, die Anfangs zum größten Teil aus Freiwilligen bestanden. Am Ende mussten sich die Alliierten geschlagen zurückziehen und hatten über 50.000 Tote zu beklagen. Man kann sich vorstellen wie viele bewegende Einzelschicksale in dieser Schlacht entstanden sind und wie tief dieses Trauma bei allen Beteiligten saß und auch noch heute sitzt.

Daher ist der 1. Weltkrieg für die Neuseeländer deutlich bedeutsamer, als der 2. Weltkrieg und das ist auch der Grund, wieso man so viele Kriegsdenkmäler findet. Dadurch soll nicht nur den gefallenen Soldaten gedacht werden, sondern es soll auch Mahnung sein, wie sinnlos diese Kriege waren, wie sinnlos jeder Krieg ist und die Hoffnung und die Ermutigung, dass sowas nicht mehr stattfinden wird.

Wir stehen also vor dieser Sonderausstellung, deren Eingang schon mal sehr beachtlich ist. In großen rot-schwarzen Buchstaben und mit der Silhouette eines Soldaten, prangt der Titel über unseren Köpfen. Eine mittellange Schlange hat sich gebildet. Wir haben keine Ahnung was uns erwartet, gehen aber von einigen spannenden Exponaten aus. Ein freundlicher Herr am Eingang sagt uns, dass wir uns soviel Zeit wie nötig nehmen sollen. Anscheinend gibt es da drin viel zu sehen.

Als wir dann an der Reihe sind und die Ausstellung betreten, kommen wir aus dem Staunen nicht mehr raus. Direkt im ersten Raum ist die gigantische Figur eines verwundeten Soldaten aufgebaut, der seine Pistole mit letzter Kraft nach vorne gerichtet hat und mit wilden Augen und schmerzverzehrtem Gesicht auf einen imaginären Gegner zielt. Das besondere daran: Die Figur ist riesig und so realistisch, dass man meinen könnte ein Schauspieler liegt da. Kein Wunder, denn mal wieder waren die Experten des „Weka-Workshops“, die sich auch um die Ausstattung der Herr der Ringe Filme gekümmert haben, am Werk.

Selbst wenn man ganz nah an die Figur ran geht, wenn man versucht irgendetwas zu entdecken, das nach einer Puppe aussieht, findet man nichts. Sogar die Poren auf der Haut sind perfekt ausgearbeitet. Schweiß auf der Stirne, Haare auf den Armen, glänzende Haut, blutende Wunden. Sehr eindrucksvoll. Danach beginnt eine bemerkenswerte Ausstellung. Anhand von fünf Schicksale wird das ganze Drama um die Schlacht um Gallipoli erklärt. Man erfährt etwas über die persönliche Geschichte der Protagonisten und gleichzeitig über allgemeine Gegebenheiten des Krieges. Bei dem liegenden und verwundete Soldat im ersten Teil der Ausstellung, handelt es sich außerdem um Lieutenant Spencer Westmacott, dessen Geschichte wir mit Spannung verfolgen. Als dieser Teil beendet ist geht es weiter und wieder stehen wir vor einer beeindruckenden Figur. Diesmal ein Arzt, der nachdenklich und traurig auf den toten Körper eines Soldaten blickt.

Es folgt ein Soldat der gedankenverloren auf sein Essen starrt, auf dem bereits zahlreiche Fliegen sitzen. Die Geschichte dieses. Soldaten ist ebenfalls sehr bewegend. Er zeichnete sich in verschiedenen Kampfsituationen durch besondere Tapferkeit aus. Eines Nachts schlief er dann aber ein, als er Wachdienst hatte. Ein Militärgericht verurteilte ihn daraufhin absurderweise zum Tode. Das Todesurteil wurde später aufgehoben und er wurde wieder an die Front geschickt. Dort starb er einige Tage später.

Im nächsten Abschnitt wird die Geschichte eines Maori Maschinengewehr-Trupps erzählt. Auch sie leisteten Außergewöhnliches, eroberten unter schwerem Feuer eine Maschinengewehr-Stellung und schlugen Teile des Feindes zurück, während ihr eigener Trupp bereits beträchtlich dezimiert war. Was wir bei der Ausstellung toll finden ist die Tatsache, dass die „Heldentaten“ der Protagonisten nicht reißerisch glorifiziert werden und somit der Eindruck entsteht, dass es vollkommen in Ordnung ist Menschen zu töten, da es ja der Feind ist. Der Krieg wird hier wertungsfrei dargestellt und somit hat der Besucher die Möglichkeit, seinen ganz eigenen Zugang zu finden.

Zum Schluss erfahren wir etwas über die Geschichte einer Krankenschwester, die loszog um den verwundeten Soldaten zu helfen und so oft nichts tun konnte. Zudem erfuhr sie während ihres Einsatzes vom Tod ihres Bruders. Leider auf sehr unsensible Art, denn ihre Briefe an ihn kamen irgendwann mit dem Stempel „Verstorben. Konnte nicht zugestellt werden.“ zurück. Ihre Figur zeigt sie in dem Moment, in dem sie diese Briefe erhalten hat.

Ganz am Ende haben die Besucher die Möglichkeit ihre persönlichen Gedanken auf ein Blatt Papier in Form einer Mohnblume zu schreiben, diese zu falten und in ein großes Becken zu werfen, in dem noch einmal ein Soldat zu sehen ist. Auch wir tun das.

Die Ausstellung ist toll und sehr bewegend. Zahlreiche originale Ausstellungsstücke, detailgetreue Modelle und tief gehende Hintergrundinformationen. Es ist so spannend und interessant, dass wir gar nicht merken wie die Zeit vergeht. Als wir die Sonderausstellung verlassen, ist es schon früher Abend. Drei Stunden haben wir darin zugebracht und es hätte noch mehr werden können.

Wer mehr über die Ausstellung „Gallipoli – The scale of our war“ erfahren möchte, der kann die großartige Webseite dazu besuchen. Sehr empfehlenswert, mit tollen Fotos und vielen Hintergrundinformationen. Im Prinzip eine kleine digitale Variante der Ausstellung.

Das Te Papa Tongarewa ist aber auch in den anderen Bereichen großartig. Die Entstehung der Inseln ist sehr interessant, weil es einem auf eindrucksvolle Art und Weise die Naturgewalten näher bringt, die alle Kontinente geformt haben. In einem kleinen Modellhaus kann man durch geschickten Einsatz von Sound und Hydraulik einen ungefähren Eindruck davon bekommen, wie sich ein Erdbeben anfühlen muss. Neuseeland wird nämlich häufig von Erdbeben heimgesucht. Viele sind ungefährlich aber einige wenige sehr zerstörerisch. Kein Wunder, liegt das Land doch direkt auf zwei tektonischen Platten. Und es gibt noch so viel mehr zu sehen, nur leider haben wir keine Zeit mehr dazu. Das Museum schließt bald und so machen wir uns auf den Weg zu unserem Camper. Der Tag ist fast vorbei und uns es bleibt keine Zeit mehr etwas anderes anzuschauen, da es schon wieder dunkel wird. Das macht aber nichts, denn der Museumsbesuch war wunderbar und hat sich auf jeden Fall gelohnt.

Die Nacht verbringen wir in der Nähe des Hafens, denn am nächsten Tag müssen wir früh zu unserer Fähre auf die Südinsel.

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